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Grand Staircase Escalante National Monument (Teil II)

Closed − Am 24. November feiern die Amerikaner Thanksgiving. Im kleinen Ort von Escalante haben sämtliche Restaurants, Motels, Tankstellen, Läden und das Visitor Center dichtgemacht. Wir müssen darum den morgendlichen Gang zur Toilette etwas hinauszögern. Unverrichteter Dinge fahren wir zur Hole in the Rock Road, wo wir auf die ungeteerte Strasse abbiegen. Nach knapp 20 Kilometern erreichen wir den Parkplatz beim Devil’s Garden, wo sich glücklicherweise ein Outhouse befindet. Einmal angehalten, bereiten wir uns gleich noch ein reichhaltiges Frühstück mit Rührei und einer Büchse baked beans (diese haben wir vor Monaten beim Salmon Glacier in Canada vom Bear Man erhalten) zu. Nach dem gestrigen Znacht und dem heutigen Zmorge dürften unsere Cholesterinspiegel momentan etwas erhöht sein ;-).

 

Wetterabhängig − Nach dem Frühstück machen wir uns wieder auf den Weg. Den Devil’s Garden heben wir uns für morgen auf. Heute wollen wir das gute Wetter (es ist kein Regen zu erwarten) ausnützen, um ein paar Slot Canyons weiter südlich entlang der Hole in the Rock Road anzuschauen. Bei Regen können Flash Floods Slot Canyons in tödliche Fallen verwandeln. Es gilt daher vor jeder Begehung das Wetter genau zu beobachten. Die kurze aber holprige Zufahrtsstrasse «Dry Fork Road» führt von der Hole in the Rock Road zum Parkplatz,von wo aus man die Slot Canyons erkunden kann. Auf dem Abstieg in den Dry Fork des Coyote Gulch kommen wir vom Trail ab und müssen uns einen eigenen Weg suchen. Unten angekommen begeben wir uns zuerst in die Dry Fork Narrows. Obwohl dieser Canyon nicht sehr eng ist, hat er doch ein paar schöne Strukturen und Farbverläufe aufzuweisen.

 

Beweglichkeitstest − Den zweiten Canyon, den wir in Angriff nehmen, ist der Peek-A-Boo. Um in diesen zu gelangen muss man zu Beginn eine etwa 4 Meter hohe Felswand überwinden. Ein paar in den Fels geschlagene Tritte erleichtern den Einstieg. Doch die Kletterei geht auch im Innern des Canyons weiter. Immer wieder gilt es Felsstufen hochzuklettern, sich um Felsnasen herumzuwinden oder unter Steinbögen durchzukriechen. Das alles macht das Begehen dieses Canyons zu einem besonderen Erlebnis und Nervenkitzel... vor allem wenn man bedenk, dass hier auch Klapperschlangen zu Hause sind.

Am Ende des Canyons klettert Markus hinaus ins Freie. Dort gibt es allerdings nicht viel zu sehen, weshalb sich Lulu diesen Teil erspart. Der Rückweg ist nicht minder einfach. Schliesslich muss man von den hohen Felsstufen, die man zuvor mühsam erklommen hat, wieder herunterkommen. Es hilft sich mit Händen und Füssen abzustützen oder notfalls auch mal auf dem Hosenboden zu rutschen.

 

Unheimlich − Trotz bereits fortgeschrittener Stunde suchen wir auch noch den dritten, den etwa einen Kilometer entfernten Spooky Slot Canyon auf. Dieser ist so eng, dass man sich nur seitwärts durchquetschen kann. Dafür ist das Gelände eben und erfordert keine Kletterei. Auch in der Farbe des Felsens unterscheidet er sichzum Peek-A-Boo. Findet man in jenem von Gelb- über Rot- bis Violetttönen eine ganze Farbpalette, ist der Spooky mit seinen Violett-, Blau- und Schwarztönen viel düsterer. Der Name Spooky (unheimlich) passt da ganz gut. In unserer Fantasie taucht gar eine Klapperschlange auf, die uns den Rückweg aus der engen Schlucht versperrt. Zum Glück trifft der Ernstfall nicht ein und wir können unbehelligt aus der Felsspalte in die Freiheit schlüpfen.

 

Vom (Un)Sinn des Reisen − Zurück auf dem Parkplatz treffen wir ein Paar aus Deutschland, welches mit dem Unimog unterwegs ist. Neben diesem Ungetüm sieht Nanuq richtig mickrig aus. Das Gespräch mit den beiden fällt knapp aus, da sie uns (und wir wahrscheinlich ihnen) nicht besonders sympathisch sind. Am meisten missfällt uns ihre Einstellung. Wie ein paar andere Reisende, die wir bereits früher getroffen haben, scheinen sie hauptsächlich auf «Rekorde» aus zu sein. So meinen sie zum Beispiel: «... und jetzt noch die Hole in the Rock Road ganz runter fahren und dann haben wir alle Schotterpisten in Utah bewältigt». Ähnlich hat es damals bei Didi und Astrid in Alaska getönt: «Wenn wir nun noch die XY-Road befahren, haben wir hier oben alles abgegrast». Wieder andere sind auf der Jagd nach sämtlichen Staaten. Dabei reicht es, ein paar Meter in den Staat hinein- und wieder hinauszufahren. Es geht bloss darum, ihn auf der Liste abzuhacken. Das Erleben und Erfahren spielt nur eine Nebenrolle. Was zählt ist wieviel und wie lange.

Wir fragen uns, ob diese Einstellung eine Nebenerscheinung von Langzeitreisen ist. Ist es vielleicht so, dass wenn man so viele neue Eindrücke gewinnt, man so viel Schönes sieht und Abenteuerliches erlebt, dass dann dieses Neue plötzlich zur Gewohnheit wird? Verliert man so die Neugierde auf jeden neuen Tag und jede neue Begegnung? Und flaut so das Kribbeln und das Gefühl grenzenloser Freiheit ab? Was bleibt dann noch, wenn die Entdeckungslust befriedigt ist? Sucht man sich deshalb ein neues Ziel, um weiterzureisen? Entwickelt man deshalb den Ehrgeiz möglichst alles «abzugrasen»? Wir wissen es nicht. Und noch haben wir nicht das Gefühl, auf diesem Weg zu sein. Die Reise ist noch immer ein Abenteuer und wir wissen um unser Privileg, dieses Abenteuer bestreiten zu dürfen. Dabei bedeuten uns die Natur und die Begegnungen mit verschiedenen Menschen viel mehr als jegliche Rekorde. Qualität statt Quantität. Sollte das irgendwann nicht mehr der Fall sein, ist es an der Zeit heimzukehren.

 

Augen auf − Wir verzichten darauf die Hole in the Rock Road bis an ihr Ende zu fahren und kehren vor Einbruch der Dunkelheit zum Parkplatz beim Devil’s Garden zurück. Hier wollen wir übernachten und morgen den Sonnenaufgang beobachten. Am nächsten Morgen müssen wir uns aber überwinden, um aus unseren warmen Schlafsäcken zu kriechen. Ist man einmal draussen lohnt es sich trotz klammen Fingern und eiskalten Nasenspitzen. Im Devil’s Garden sind verschiedene Gruppen von Hoodoos verteilt, deren gelbrotes Gestein im Morgenlicht besonders intensiv leuchtet. Wir laufen kreuz und quer zwischen den Hoodoos umher und entdecken immer wieder neue lustige Formationen. Einzig auf der Suche nach dem vielgepriesenen Metate Arch bleiben wir vorerst erfolglos. Berichten zufolge soll dieser nämlich klein und filigran sein. Das «klein» ist allerdings als relativ zu verstehen. Wir laufen mehrmals neben und unter (!) dem gesuchten Felsbogen durch, ohne es anfangs zu realisieren :-).

 

Gastfreundschaft − Wir treffen ein Paar aus Salt Lake City, dem wir gestern bereits im Peek-A-Boo Slot Canyon begegnet sind. Gloria lädt uns ein, bei ihr zu übernachten, falls wir einen Abstecher in Utahs Hauptstadt im Norden des Staates machen sollten. Salt Lake City wurde mitte des 19. Jahrhunderts wie viele andereStädte in Utah von Mormonen gegründet. Sie flüchteten aus den östlichen Staaten der USA, wo sie wegen ihrer Religion verfolgt und diskriminiert wurden. Der Westen gehörte damals noch nicht zur USA und bot daher Unterschlupfmöglichkeiten für die Mormonen.

Heute sind mindestens die Hälfte der der Bewohner Utah’s gläubige Mormonen. Sie lehnen den Konsum von Alkohol, Tabak, Kaffee, Tee und Drogen ab. Die Kinderzahl ist meist höher als bei einer durchschnittlichen amerikanischen Familie, weil keine Empfängnisverhütung stattfindet. Obwohl die Polygamie, die es einem Mann erlaubt mehrere Frauen zu ehelichen, offiziell abgeschafft wurde, existiert sie in einigen Splittergruppen noch immer. Zehn Prozent des Gehaltes eines jeden Mitglieds geht an die Kirche. Solche und weitere Regeln sorgen dafür, dass die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage, wie der Mormonismus korrekt genannt wird, bei einigen Leuten noch immer umstritten ist. Trotzdem begeben sich jährlich tausende junger Mormonen auf Mission in der ganzen Welt. Zu zweit und adrett gekleidet, klingeln sie an Haustüren oder sprechen Pasanten auf der Strasse an.

Viele Amerikaner machen über Utah und seine Bewohner Witze. Uns gefällt es jedoch sehr gut hier und wir schätzen auch die hilfsbereiten und freundlichen Menschen. Nicht nur Schweizer, sondern auch Landsleute aus New York City, könnten sich hier eine Scheibe abschneiden.

Nebst der Mormonen-Kultur ist die Gegend rund um Salt Lake City auch für die unzähligen Wintersportmöglichkeiten in den Wasatch Mountains bekannt. Dazu beigetragen haben sicherlich die olympischen Winterspiele von 2002.

 

Abenteuergeist − Für uns steht aber vorerst nicht Salt Lake City sondern weiterhin das Grand Staircase Escalante National Monument auf dem Programm. Auf der Hole in the Rock Road fahren wir zurück zum Highway 12. Überigens geht auch die Hole in the Rock Road auf die Mormonen zurück. Um die Region östlich des Colorado Rivers zu besiedeln, organisierte die mormonische Kirche die San Juan Mission. Die 250-köpfige Gruppe, die sich 1879 auf den Weg machte, wollte die 800 Kilometer lange Strecke abkürzen und stach entlang der heutigen Hole in the Rock Road Richtung Süden. Was zum direktesten Weg durch Süd-Utah werden sollte, endete jedoch abprupt am Abgrund des Glen Canyon. Doch die Mormonen gaben nicht auf. Mit Dynamit, Schaufeln und Meiseln vergrösserten sie trotz Kälte und Schnee eine vorhandene Ritze im Fels soweit, bis sie gross genug war, um Leute und Wagen durchzubringen. Der Name Hole in the Rock Road war geboren.An Seilen gesichert liessen die Pioniere ihre 83 Wagen den steilen Abhang (fast 600 Meter) hinunter und überquerten auf einem selbstgebauten Floss den Colorado River. Auf der gegenüberliegenden Seite begann das Spiel in entgegengesetzter Richtung von vorn,wollten die Mormonen den Canyon wieder verlassen. Am Schluss wartete ein 100 Meilen langer Marsch durch die Wüste auf die Gruppe, die trotz aller Strapazen keinen Verlust hinzunehmen hatte. Im Gegenteil wurden während des Treks drei Babys geboren. Nach sechs Monaten, statt den erwarteten sechs Wochen, erreichten die Mormonen ihr neues Zuhause im heutigen Bluff, Utah.

 

Calf Creek Falls − Auf dem Scenic Highway 12 fahren wir zum Parkplatz beim Calf Creek, von wo aus wir die fünf Kilometer lange Wanderung zu den Calf Creek Falls unter die Füsse nehmen. Der Weg führt zwischen den roten Felswänden des Calf Creek Canyon hindurch und passiert ein Feuchtgebiet, welches durch hohes Schilf und Gras bedeckt ist. Wir können den Wasserfall zwar schon aus einiger Entfernung hören, doch ins Blickfeld rückt er erst am Ende der Wanderung. Dafür ist sein Anblick dann umso beeindruckender. Der Fall stürzt am (fast) vertikalen Fels etwa 40 Meter in die Tiefe, wo er von einem Teich aufgefangen wird. Der Teich wird auf drei Seiten von hohen Felswänden aus Navajo Sandstein umrahmt. Der rote Stein ist stellenweise mit leuchtend grünen und gelben Algen bedeckt. Zudem überziehen dunkle vertikale Streifen, der sogenannte Wüstenlack (desert varnish), die Felswände. Dieser entsteht, wenn saures Wasser in den Fels eindringt und das Gestein in seine mineralischen Bestandteile auflöst. Die gelösten Substanzen steigen anschliessend durch Ritzen an die Oberfläche, wo sie verdunsten und eine harte, glänzende Schicht zurücklassen. Eine andere Erklärung, die wir für den desert varnish finden, ist jene von Bakterien, die auf den feuchten Stellen des Felsens leben und sich von in der Luft befindlichem Mineralienstaub ernähren. Nach der Verdauung hinterlassen die Bakterien eine Manganhaltige Schicht auf dem Fels.

Wir testen verschiedene Blickwinkel und Verschlusszeiten. Während Lulu ein Foto nach dem anderen schiesst, schaut Markus einem Profifotografen aus Page über die Schultern. Auch die schönste Szenerie kann das Empfinden von Kälte nicht auf Dauer verdrängen. Der Wasserfall befindet sich in einem Schattenloch und es herrschen trotz blauem Himmel kühle Temperaturen. Durchgefroren machen wir uns auf den Rückweg. 

 

Ein letzter Augenblick − Als wir zum Parkplatz am Anfang des Trails zurückkehren, herrscht eine schöne Abendstimmung. Bevor wir losfahren, um ein gutes Plätzchen für Sonnenuntergangsfotos zu finden, müssen wir aber unbedingt noch kurz aufs WC. Dumm nur, dass die WC-Anlagen beim Parkplatz im Winter geschlossen sind und wir jene des Campgrounds auf der anderen Flussseite benutzen müssen. In der Zwischenzeit ist das schöne Abendlicht verschwunden und wir enttäuscht. Trotzdem brechen wir auf und fahren auf dem Highway 12 Richtung Boulder. Die Strasse windet sich aus dem Tal heraus auf eine Anhöhe, von wo aus man links und rechts eine tolle Aussicht hat, respektiv hätte. Denn in der Zwischenzeit ist es zu dunkel, um etwas zu erkennen. Wir übernachten an der Kreuzung zur Hells Backbone Road. Von hier können wir weit unten die Lichter vom kleinen Ort Boulder erkennen.

Am nächsten Morgen fahren wir extra nochmals ein paar Kilometer zurück, um doch noch in den Genuss der grandiosen Aussicht zu kommen, die sich hier entlang des Scenic Highway 12 bietet. Später biegen wir in Boulder auf den Burr Trail ab.